Matomo

„Der Tod ist der Horizont des Lebens,
aber der Horizont ist nur das Ende der Sicht.“

Der Tod kommt mit seinen Mythen

Woher kommt der Tod? Und warum sterben wir? Diese existentiellen Fragen beschäftigen die Menschheit seit Anbeginn der Zeit. Überall auf der Welt. So unterschiedlich die Erklärungsversuche auch ausfallen, so sehr wiederholen sich doch einzelne Motive.

Heute ist uns völlig klar: Der Tod ist eine biologische Tatsache. Die (Natur-) Wissenschaften haben die Geheimnisse rund um das Sterben hinreichend gelüftet. Demnach ist im Rahmen seines genetischen Programms jeder vielzellige Organismus dem biologisch-naturhaften Ende eines Alterungsvorganges unterworfen. Dies scheint logisch. Und nachvollziehbar.

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war die die Frage nach dem Tod in der Welt bzw. warum es den Tod überhaupt gibt, eine der zentralen Fragen der Menschheit. Gerade weil der Tod so unerklärlich schien, jederzeit und überall urplötzlich auftauchen konnte und am Ende jedem absolut sicher war – gerade deshalb entwickelte jedes Volk eine mehr oder weniger eigene Erklärung dafür, weshalb wir unvermeidlich sterben müssen.

Diese Erklärungen sind uns bis heute in zum Teil viele Tausend Jahre alten Mythen und Geschichten überliefert. Sie handeln vom Ursprung der Welt, dem Leben an sich, der menschlichen Existenz – und sie geben mögliche Antworten auf die großen Seins-Fragen des Universums: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Und warum sind wir sterblich? Dabei wenden sich die Erzählungen keineswegs bloß an den Verstand. Viel mehr richten sie sich an unsere Gefühlswelt und unser Vorstellungsvermögen. An das Herz und die Seele.

Mit einem Alter von rund 3.500 Jahren zählen das Ägyptische Totenbuch und das Gilgamesch-Epos aus Mesopotamien zu den frühesten Überlieferungen unserer Zeitrechnung. Vor rund 3.000 Jahren entsprang die uns wohlbekannte Geschichte des biblischen Sündenfalls dem Vorderen Orient, während die griechische Antike 1.000 Jahre später „Orpheus und Eurydike“ hervorbrachte.

Die großen Fünf in den Mythen über den Tod

Wie und weshalb der Tod in die Welt kam – die Antworten, die die verschiedenen Völker und Kulturen in ihren Mythen und Geschichten geben, sind vielfältig und bunt. Doch erstaunlicherweise finden sich immer wieder ähnliche Vorstellungen und Erklärungen, die in den unterschiedlichen Teilen der Welt entstanden sind. Betrachtet man die Antworten nach dem direkten Warum des Todes etwas genauer, so lassen sich fünf Leitmotive immer und immer wieder finden:

1.) Der Tod als (göttliche) Strafe für menschliches Vergehen. Im biblischen Sündenfall werden Adam und Eva von einer Schlange verführt und essen von der verbotenen Frucht. Dafür werden sie ein für alle Mal aus dem Paradies vertrieben und schwer bestraft. An einem anderen Ort der Welt lässt sich Pandora verleiten, ein verbotenes Kästchen zu öffnen, aus dem neben allen anderen Übeln auch der Tod entweicht.

2.) Der Tod als das Resultat eines Versehens, eines Missgeschicks, einer Torheit oder gar einer falschen Entscheidung. In vielen afrikanischen Kulturkreisen ist ein Tier oder ein tierischer Botschafter für die menschliche Sterblichkeit verantwortlich. So war zum Beispiel ein Chamäleon damit betraut, den Menschen die Nachricht über ihre Unsterblichkeit zu überbringen. Doch abgelenkt durch die vielen Schönheiten in der Natur vertrödelte es die Zeit und brachte so den Tod in die Welt.

3.) Der Tod als menschliches Schicksal, dem niemand entgeht. Diese Idee finden wir vor allem die griechischen Mythologie. Die Götter und Halbgötter des Olymps sind den Menschen weit überlegen und lenken ihr Schicksal. Damit bestimmen sie entweder über ihren Schutz und ihr Wohlergehen oder verhängen dunkle Schicksale mit ewigen Qualen.

4.) Der Tod als das Ergebnis einer freien aber endgültigen Entscheidung. In einigen Geschichten wählen die Menschen aus der dunklen Unterwelt bewusst die helle und schönere Oberwelt als neuen Lebensort. Oder vor die Wahl gestellt – Unsterblichkeit oder Nachkommen – entscheiden sich Menschen, Tiere und Pflanzen für die Möglichkeit sich fortzupflanzen. In beiden Fällen wird mit der Sterblichkeit bezahlt.

5.) Der Tod als strikte Lebensnotwendigkeit. Erst durch ihn und nur durch ihn kann neues Leben entstehen. Damit ist er Voraussetzung für alles noch Werdende. Die Geschichte der indigenen Völker Südchinas vom Riesen P´an ku veranschaulicht dies sehr deutlich: Als eine Art „Steinmetz des Universums“ oder „Weltschöpfer“ stellte P´an ku sich zwischen Himmel und Erde, damit diese nicht mehr zusammenkommen konnten, legte sich vor Erschöpfung auf die Erde nieder und starb. Mit seinem Tod jedoch begann die Geburt der Welt. Aus seinen Augen wurden die Sonne und der Mond. Aus seinem Kopf wurde der Berg des Ostens, aus seinem Bauch der Berg der Mitte. Aus seinem Atem wurden Wind und Wolken, aus seinen Haaren wurden die Sterne usw.

Wie verschieden die Mythen und Geschichten auch sind, wie auch immer die Menschen die Existenz des Todes am Ende erklären. Er ist und bleibt in der Welt und ist nicht umkehrbar. Er ist ein integraler Bestandteil des Lebens. Vielleicht auch ein notwendiger. Es ist nicht möglich, ihm zu entkommen oder ein Mittel gegen ihn zu finden – wie sehr der Mensch diese Sehnsüchte auch immer wieder hegt.

Stephanie Tamm

Foto:
pixabay.com/MasterTux

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